Ist die Schweiz auf Stromimporte angewiesen?

Eine oft gehörte Schreckensmeldung: Im Winter 2020/2021 hat die Schweiz 17.7 TWh Strom importiert, bei einem Gesamtverbrauch von 33.6 TWh in der gleichen Zeitspann. – Wow, eine ziemlich grosse Abhängigkeit.

Die abgemilderte Variante: Die Schweiz musste im Winterhalbjahr 2020/21 netto 1.8 TWh Strom importieren. – Aha, tönt schon besser.

Beide Aussagen, die oft als Argument gegen eine Energiewende mit Photovoltaik und für den Bau neuer AKW’s angeführt werden, stimmen prinzipiell, zeigen aber längst nicht die ganze Wahrheit!

Anton Gunzinger hat es in den NZZ Standpunkten vom 16 1.2023 so gesagt: “Der Stromimport sei zwar grösser als der -export, aber das habe finanzielle Gründe. … Wenn Sie das sauber rechnen, sehen Sie: Wir haben genügend Strom.»

Tatsächlich hat die Schweiz im Winterhalbjahr 2020/21 Strom im Umfang von 17.7 TWh importiert, aber in der gleichen Periode auch 15.9 TWh exportiert. Daraus resultiert dann der oben erwähnte Nettoimport von 1.8 TWh [1]

Die Schweiz ist bekannt dafür, dass sie in Europa bei Stromüberfluss billigen Strom einkauft (z.B. nächtliche Bandenergie aus französischen AKW’s), diesen in Pumspeicherwerken hochpumpt und bei hohem Strombedarf in Europa teurer verkauft, den Strom also veredelt. Ein interessantes Geschäftsmodell für eine Handelsnation wie die Schweiz. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Hochpumpen des Wassers Strom benötigt, mindestens 20% der hochgepumpten Energie geht dabei verloren (Wirkungsgrad von ca. 80 %).

Nehmen wir einmal an, dass 30 % des exportierten Stromes aus Pumspeicherwerken stammen. Wenn wir die entsprechenden Verluste fürs Hochpumpen abziehen, hätte die Schweiz im Winter 2020/21 netto tatsächlich nur 0.6 TWh zusätzlichen Strom für den Eigenbedarf aus dem Ausland benötigt [2]! Das relativiert die Aussage, dass wir aktuell im Winter massiv von Stromimporten abhängig sind.

Ist das nun die volle Wahrheit? Wir kommen damit der Sache zwar näher, es ist aber noch nicht die volle Wahrheit! Wir können plausibel zeigen, dass diese Strom-Veredelung passiert:

Bildquelle: energy-charts.info – Stromerzeugung der Schweiz in Woche 3 2022.

Obiges Bild zeigt exemplarisch, dass es zeitweise einen engen Zusammenhang zwischen Pumpspeicheraktivitäten (blau) und Exportüberschüssen (violett, unterhalb der 0-Linie) geben muss.
Wir haben aber keine belastbaren Zahlen wie gross der Anteil wirklich ist. Wir wissen auch nicht, wie weit bei dieser Veredelung auch unsere Stauseen, die von natürlichen Zuflüssen gespiesen werden, eingesetzt werden (siehe dazu https://co2nettonull.com/dreamteam-wasserkraft-und-solarstrom-fuer-die-zukuenftige-energiewende/).

Sollte die Schweiz etwa anstreben sich vom europäischen Strommarkt abzukoppeln? Dies wäre eine falsche Schlussfolgerung, die uns teuer zu stehen käme. Die Schweiz ist nur schon durch ihre geographische Lage “elektrisch verbunden” mit den Nachbarn und damit ein wichtiger Player im Europäischen Stromhandel, und soll es auch bleiben. Weitere Vorteile: Die Netzstabilisierung ist im grossen Verbund einfacher, die Wetterabhängigkeit von Sonnen- und Windstrom kann europaweit besser ausgeglichen werden, und nicht zu vergessen die Handelseinnahmen.
Wir brauchen aber dringend ein Stromabkommen mit der EU und mehr Transparenz beim Stromhandel. Ein entsprechendes Transparenz-Gesetz (Bundesgesetz über die Aufsicht und Transparenz in den Energiegrosshandelsmärkten) ist in Vorbereitung und bringt hoffentlich Verbesserungen.
Nur so können wir verlässlich den optimalen Einsatz unsere Speicher- und Pumspeicherwerke für die Energiewende planen!

Dank unserer Speicherseen und den Pumspeicherwerken sind wir mit der Umsetzung obiger Anforderungen optimal für eine erneuerbare Energiezukunft mit Photovoltaik (ohne AKW’s) aufgestellt! Packen wir es an.


Quellenangaben/Berechnungen:

[1] Quelle: Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2021, BFE
Das obige Beitragsbild stammt ebenfalls aus dieser Quelle und zeigt jeweils Einfuhr- oder Ausfuhrsaldi, also Nettozahlen.

[2] Annahme: 30 % der Exporte stammen aus Pumpspeicher.
Das Hochpumpen hat einen Wirkungsgrad von 80%.
E=Exporte = 15.9 TWh, I = Importe = 17.7 TWh, Ep= Exportanteil aus Pumpspeicher = 0.3 x E, Epv = Ep vor dem Hochpumpen
Wirkungsgrad 0.8 => Ep = Epv x 0.8 => Epv = Ep / 0.8
Verluste = Epv – Ep = Ep / 0.8 – Ep = Ep (1/0.8 -1) = 0.3 x E (1/0.8 -1) = 1.2 TWh

Nettoimport: Import – Export – Verluste
17.7 – 15.9 – 1.2 = 0.6 TWh

Plausibilitätsprüfung: Im Winter 2021/22 wurden gesamthaft 1.59 TWh Strom für Pumpspeicher verwendet, siehe [1] Tab. 6a und Tab. 32 (saisonal und Umwälzbetrieb). Obiges Szenario mit 1.2 TWh Verlusten aus Exporten aus Pumpspeicher ist also grundsätzlich denkbar.

Ein Kommentar zu „Ist die Schweiz auf Stromimporte angewiesen?

Gib deinen ab

  1. Leider muss ich diesen Blog-Beitrag etwas korrigieren. Die Plausibilitätsprüfung [2] ist falsch. Im Jahr 21 wurden gesamthaft 4.1 TWh Strom für Pumpen verbraucht. Bei einem Wirkungsgrad von 80% können damit maximal 0.82 TWh Verluste pro Jahr entstehen. Der Nettoimport würde im diesem Falle ca. 1 TWh betragen. – Wie oben gesagt: Alles etwas spekulativ, es fehlen die nötigen Zahlen für eine genaue Berechnung.

Kommentar verfassen

Powered by WordPress.com. von Anders Noren.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: