Klimaschutz blockiert – Eine Typologie der Beteiligten

Das obige Tortendiagramm von Katja Berlin [1] scheint mir der perfekte Einstieg für meinen Artikel über die Blockade im Klimaschutz zu sein. Natürlich gibt es Menschen, die nicht bereit sind, selbst etwas zum Klimaschutz beizutragen, und natürlich gibt es Kräfte, die versuchen, aus Eigeninteresse Sand ins Getriebe zu streuen. Trotzdem bin ich guter Dinge, dass eine Mehrheit in der Schweiz die Notwendigkeit von Massnahmen gegen den Klimawandel bejaht und eine CO2 neutrale Gesellschaft anstrebt.
Aber warum kommt der Klimaschutz trotzdem nur schleppend voran?
Es fällt auf, dass die Beteiligten unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg haben und sich diese Auffassungen teilweise gegenseitig blockieren. 

Um ein klareres Bild der Situation zu bekommen, habe ich versucht eine vereinfachte Typologie der unterschiedlichen Gruppen des Klimaschutzes zu erstellen:

  • Energiewende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran, schneller Ausbau der Photovoltaik, auch in den Alpen, und Ausbau der Speicherseen [1]. Fokus primär auf dem technologischen Wandel.
    Herausforderungen: Ressourcenbedarf für Batterien und Netzausbau, Flächenbedarf.
  • Kernenergie: Eine CO2 freie, zuverlässige Energieversorgung mittels neuartiger, kleiner Atomkraftwerke, sogenannter SMR’s, deren Energieproduktion besser steuerbar sein soll.
    Herausforderungen: Risiken der Radioaktivität, gesellschaftliche Akzeptanz.
  • Umweltschutz: Biodiversität, Landschaftsschutz, Wald- und Meeresschutz haben oberste Priorität, vor dem Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion.
    Herausforderungen: Drohende Energieknappheit, insbesondere im Winter.
  • Postwachstumsökonomie: Das wirtschaftliche Wachstum und den ausufernden Konsum aufgeben, sich beschränken und weltweite Klimagerechtigkeit erreichen.
    Herausforderungen: Ausser in einzelnen Bereichen als Gesamtkonzept kaum mehrheitsfähig, drohende Energieknappheit.
  • Wasserstoffgesellschaft: Mittels erneuerbaren Energien an den weltweit besten Standorten Wasserstoff produzieren als universelle, speicher- und transportierbare Energiequelle.
    Herausforderungen: Energie-Inneffizienz, neue Studien belegen klimatechnische Risiken von Wasserstoff, internationale Abhängigkeiten.
  • GeoEngineering: Das Klima durch technische Eingriffe gezielt verändern.
    Herausforderungen: Machbarkeit, ungeklärte Risiken mit unumkehrbaren Folgen.

Die einzelnen Beteiligten hinter den genannten Typen mögen durchaus respektable Gründe für Ihre Position haben. Letztlich kommen sie sich aber oft gegenseitig in die Quere, was zu einer Blockade führt. Aktuelles Beispiel ist der Ausbau der Infrastruktur für die regenerative Stromerzeugung. Auf Grund von Einsprachen einer unheiligen Allianz aus „Umweltschutz“ und der verbreiteten Haltung „nur nicht vor meiner Haustüre“  können in der Schweiz kaum Windkraftanlagen errichtet werden. Auch alpine Solaranlagen oder sog. Agri-PV sind kaum möglich.
Die Gruppe „Kernenergie“ könnte in dieser Situation versucht sein, sich über diese Kontroverse zu freuen, weil sie hofft, mit neuen Kernkraftwerken eine Lösung parat zu haben, sobald im Winter eine ernsthafte Energieknappheit droht [2]. Auch wurden schon gemeinsame Interessen und Verflechtungen zwischen den Gruppen „Umweltschutz“ und „Kernenergie“ aufgezeigt [3]. Auch die Gruppe „Postwachstumsökonomie“ könnte an einer Blockade Gefallen finden, eine Krise könnte eine Chancen sein, ihren Lösungsvorschlag doch noch mehrheitsfähig zu machen…

Derzeit (Frühjahr 2023) gibt es eine breite politische Bewegung welche diese Blockade durchbrechen und schnellere Genehmigungsverfahren ermöglichen soll. Ob es gelingt die Gruppe „Umweltschutz“ mit ins Boot zu nehmen?
Ich befürchte, dass sich das Ende dieser Auseinandersetzung noch hinziehen wird, zumal eine Mehrheit der Schweiz. Bevölkerung einen starken Landschaftsschutz wünscht [3]. Ich glaube auch nicht, dass sich eine der Gruppen kurzfristig durchsetzen und eine Mehrheit gewinnen wird. Auch Gerichtsurteile werden nicht die Lösung bringen.

Die entscheidende Frage in dieser Situation lautet also: Gibt es einen gemeinsamen Konsens, der uns kurzfristig wesentlich weiterbring und auf den sich eine Mehrheit kurzfristig einigen kann, ohne dass die einzelnen Gruppen ihre Grundideen aufgeben müssen?

Ich habe versucht eine Art „Klimapakt 2033″ für die Schweiz zu skizzieren:

  1. Forcierter Ausbau der erneuerbaren Energien, insb. der Photovoltaik. Schnellere Entscheide bei alpinen Solaranlagen, bei Stausee-Erweiterungen  und Windkraftanlagen in den nächsten paar Jahren.
    Dabei müssen die berechtigten Anliegen von „Umweltschutz“ bestmöglich berücksichtigt werden: beschleunigte Verfahren dürfen nur temporären Charakter haben, es darf keine grundsätzliche Aushebelung des Verbandsbeschwerderechtes geben. Ausgleichsmassnahmen für die Bio-Diversität. Bauliche Investitionen mit Umsicht, so dass ein allfälliger Rückbau einfach möglich ist (z.B. keine unnötig grossen Betonfundamente).
    Dies sollte im Interesse aller sein. Auch die Gruppe „Kernenergie“ ist darauf angewiesen, denn sobald die alten AKW’s abgeschaltet werden, würde es noch lange dauern, bis neue gebaut sind.
  2. Schneller und umweltverträglicher Umbau des Autoverkehrs auf elektrischen Antrieb. Diese Technologie ist aktuell die effizienteste und ausgreifteste Lösung, sie steht sofort zur Verfügung. Bei Wasserstoff und eFuels sind noch viele Fragen offen und sie stehen noch gar nicht zur Verfügung.
    Zusätzliche Anstrengungen im Bereich Umweltverträglichkeit, insbesondere hinsichtlich dem Ressourcenbedarf für die Batterie-Produktion (Recycling, Produktionsbedingungen in den Minen). Die benötigte Menge an Strom muss zusätzlich eingeplant werden. 
    Der Individualverkehr sollte im Volumen stabilisiert und ein Verkehrswachstum (durch Bevölkerungswachstums) primär durch Förderung des öffentlichen Verkehrs, des Fahrradverkehrs (E-Bike) und Homeoffice aufgefangen werden.
  3. Forcierung des Umbaus der Heizanlagen auf CO2 neutrale Technologien und bessere Isolierung der Häuser. Gesellschaftlich wenig umstritten. Diskussionen gibt es zur Geschwindigkeit und der Finanzierung dieses Infrastrukturumbaus. Das neue Klimaschutzgesetz zeigt dazu pragmatische Wege auf.
  4. Verbindliche Regelungen: Es wird immer Personengruppen geben, welche entsprechende Projekte vor Ihrer Haustüre mit allen rechtlichen Mitteln zu verhindern versuchen. Das heisst,  wir können das Problem nicht nur mit einem „runden Tisch“ und mit etwas gutem Willen lösen. Es braucht verbindliche Regelungen und Anpassungen auf mehreren Ebenen. Diese Regelungen sind so zu gestalten, dass langfristige die Belange aller an einer Lösung Interessierten gewährleistet bleiben.

Eine rasche und breit abgestützte Umsetzung eines solchen Klimapaktes könnte uns Zeit für weitere Diskussionen, Forschungen und Experimente verschaffen, damit wir als Gesellschaft nicht unnötig unter Zeitdruck geraten und durch eine plötzliche Energieknappheit unnötige Folgekosten tragen müssen


In dieses Bild passen eigentlich die Ideen unseres neuen Energieministers Rösti in der NZZ-Online vom 18.1.2023 ganz gut:
„Rösti, ganz der Pragmatiker, will dort vorwärtsmachen, wo man sich von links bis rechts einig ist. Die Schweiz müsse die Produktion erhöhen, weil sie künftig mehr Strom brauchen werde. Das 1,5-Grad-Klimaziel sei nur erreichbar, wenn genügend Strom vorhanden sei, um aus den Fossilen auszusteigen, sagte Rösti. Das gilt vor allem für den Verkehr und die Heizungen […] Am besten geeignet für den massiven Ausbau sind Wasserkraft und Photovoltaik (PV), ergänzt mit Wärme aus dem Boden und Biomasse. Auch hier herrscht Konsens. Die Erneuerbaren seien klimafreundlich und nachhaltig – und sie schafften Souveränität, sagte Rösti.“

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Quellen:

[1] Katja Berlin, bekannt als  Autorin der Torten der Wahrheit“, veröffentlicht in Der Zeit immer wieder inspirierende Tortendiagramme und verbreitet diese auch via Linkedin: https://www.linkedin.com/posts/katja-berlin-5a613b40_meine-torte-in-der-aktuellen-ausgabe-der-activity-7047213328942657537-ngE2?utm_source=share&utm_medium=member_android
Im verwendeten Bild wurde der explizite Bezug zu Deutschland entfernt, da sich dieser Blogbeitrag auf die Schweiz bezieht und die Aussage des Diagrammes stimmig bleibt.

[2] Die SVP fordert: „Zeigt sich in den kommenden Jahren, dass der Ausbau der Solar- und Windenergie sowie Wasserkraft nicht wie geplant vorwärtskommt, soll der Bau neuer Kernkraftwerke vereinfacht möglich werden“.

[3] Das Magazin „Energiewende“ hat die Verbindungen zwischen Naturschutzorganisationen und Kernkraftbefürwortern in Deutschland untersucht: https://energiewende.eu/netzwerk-gegen-die-energiewende/
Auch in der Schweiz gibt es prominente Beispiele: https://liberethica.ch/2022/02/15/hand-aufs-herz-3-fragen-an-kurt-fluri/
(Kurt Fluri, Präsident der Parlamentarischen Gruppen Biodiversität und Artenschutz sowie Raumentwicklung,  Präsident der Schweizerischen Stiftung Landschaftsschutz und Vorstandsmitglied von Pro Natura Solothurn, setzt sich für Kernkraft ein).

[4] Bevölkerung will Naturschutz nicht opfern, Tagesanzeiger, 13.3.2023,  Aus einer Umfrage: „Die Mehrheit [der schweiz. Bevölkerung] ist nicht bereit, den Naturschutz der Energieproduktion zu opfern. 
Scheinbar kommt es aber auch auf die Fragestellungen an, in der NZZ 31.5.2022: „Mehrheit der Bevölkerung ist laut Umfrage für deutliche Abstriche beim Umweltschutz und schlankere Verfahren“.

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