Winterstrom


Im Rahmen des sog. Mantelerlasses [1] wurde diesen Herbst vom Schweizer Parlament die Grundlage für den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) und Rahmenbedingungen für die Versorgungssicherheit der Schweiz geschaffen.
Wie ein beschleunigter Ausbau im Detail erfolgen soll, darüber gehen allerdings die Meinungen auseinander. Aus Naturschutz- und Landschaftsschutzkreisen hört man das Argument, dass nun primär der Ausbau der Photovoltaik (PV) auf Hausdächern im Fokus stehen muss. Sicher ein zentrales Element, allerdings ist diese Produktionsart bedeutenden Produktionsschwankungen unterworfen. So betrug im Jahre 2021 die PV-Produktion im Dezember nur etwa 18 % der mittleren monatlichen PV-Produktion.

PV Produktion der Monate Jan-Dez 2021 in GWh. Quelle: Swiss Energy-Charts

Je grösser der Anteil der PV-Produktion am gesamten Verbrauch (Last) ist, um so stärker sind die Auswirkungen dieser Schwankungen auf das Gesamtsystem. Ausgehend vom Dezember 2021 wurde in der nachfolgenden Grafik berechnet, wie sich obige Schwankungen bei höheren PV-Anteilen ausgewirkt hätten [2].

Als Residuallast bezeichnet man die gesamte benötigte elektrischen Leistung abzüglich des Anteils schwankender/fluktuierender Erzeuger wie Photovoltaikanlagen oder Windkraft. Wird weniger PV-Strom erzeugt, steigt entsprechend die Residuallast. Die obige Grafik zeigt die resultierenden Schwankungen der Residuallast im Dezember im Verhältnis zum monatlichen Mittelwert, bei unterschiedlichen Anteil der PV-Produktion. Bereits bei einem PV-Produktionsanteil von 20% hätte sich in diesem Beispiel die Residuallast im Dezember um etwa 45% gegenüber dem monatlichen Mittelwert erhöht. – Ein PV-Anteil von 20 % dürfte um 2030 erreicht werden.

Die Abdeckung dieser zusätzlichen Residuallast muss durch eine dynamisch zuschaltbare Winterproduktion oder durch Massnahmen zur Schwankungsreduktion erfolgen. Zum Glück gibt es eine ganze Reihe entsprechender Technologien und Massnahmen (siehe Tabelle), die zwingend Hand in Hand mit dem PV Ausbau umgesetzt werden müssen.

Technik / MassnahmeWirkung
Alpine PVweniger Nebeltage im Winter -> geringere PV-Schwankungen.
Ost/West PV Bessere Ausbeute im Winter -> geringere PV-Schwankungen.
WindenergieWind weht auch im Winter. Je grösser der geographische Verbund, um so besser ergänzen sich Wind und PV, die Schwankungen werden gesammhaft minimiert. Ideal wäre Ausgleich von Nordeuropa bis Südeuropa, bedingt aber Leitungskapazitäten.
Speicherseen Tageszeitlicher Ausgleich durch Pumpspeicher, Winterunterstützung durch Speicherseen -> dynamisch zuschaltbar, solange Vorrat vorhanden.
Der Bericht Stresstest Energiewende zeigt Möglichkeiten, Optimierungen und Grenzen auf.
Batterien Elektrochemische Speicher sind schnell zuschaltbar aber teuer, sie werden ab 2030 eine zunehmende Rolle insb. zur schnellen Netzstabilisierung spielen. Der Ausbau der eMobilität wird dabei helfen.
Demand Side Management Den Stromverbrauch so steuern, dass er möglichst dann anfällt
wenn PV-Produktion vorhanden. Bsp: Aufheizen des Warmwasserboilers nicht um Mitternacht. Damit kann die Last vermindert werden, die Residuallast sinkt.
Strom-ImportDynamisch zuschaltbare Produktion dank geographischem Ausgleich, vermutlich die günstigste Lösung. Nachteil: Auslandabhängigkeit.
Thermische SpeicherSaisonale Thermische Speicher können den Strombedarf (Last) im Winter senken, dadurch sinkt die Residuallast.
Druckluft-SpeicherLuft komprimieren und speichern um damit Turbinen anzutreiben. Noch wenig verbreitet, da einige technische Herausforderungen (die Luft erhitzt sich beim Komprimieren stark).
GeothermieUnabhängig von Jahreszeiten, kann dazu beitragen den PV-Anteil an der Gesamtproduktion zu verringern, damit sinken die Schwankungen.
Gaskraftwerke dynamisch zuschaltbar, wegen CO2 Emissionen höchstens Notlösung.

Beim Bestand der Speicherseen sind wir in der Schweiz bereits gut aufgestellt. Wie Thomas Nordmann und ich im Bericht Stresstest Energiewende untersucht haben, könne diese bis 2030 die Hauptlast des Ausgleichs übernehmen. Aber der Bericht zeigt auch, dass es zusätzliche Anstrengungen im Winter braucht um eine sinnvolle Resilienz gegenüber ausserordentlichen Ereignissen zu erreichen, insb. der Ausbau im Bereich Alpine-PV und Wind stehen im Fokus.
Der Ausbau der meisten dieser Technologien/Massnahmen ist bis anhin eher zögerlich oder gar politisch blockiert. Die sinnvolle Ausbaugeschwindigkeit der PV Produktion wird daher auch massgeblich durch den Ausbau obiger Technologien/Massnahmen limitiert.

Ein wichtiger Zeitfaktor des weiteren Ausbaus sind auch die Abschaltzeitpunkte der noch laufenden Kernkraftwerke (KKW). Ein KKW kann nicht dynamisch zugeschaltet werden, es produziert kontinuierlich sog. Bandenergie . Aber Energieszenarien (siehe Stresstest Energiewende) zeigen, dass beim Abschalten der KKW’s nach 50 Betriebsjahren die Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren (und parallel dazu der obigen Massnahmen) “sehr herausfordern” wird, was den Druck auf Natur/Diversität/Landschaft und damit den politischen Widerstand erhöhen dürfte.

Aus diesen Überlegungen heraus favorisiere ich aktuell folgenden Ansatz:

  • Obige Technologien/Massnahmen zur Winterstromproduktion/Schwankungsreduktion zeitgleich zum PV-Ausbau vorantreiben. Dies in einem dauernden gesellschaftlichen Dialog, um politische Blockierungen aufzulösen.
  • KKW bis 60 Jahre Betriebszeit laufen lassen (sofern sicher) → wir haben mehr Zeit für den koordinierten Ausbau von PV und den obigen Massnahmen.
  • Gaskraftwerke: Nur im äussersten Notfall umsetzen, schrittweises Vorgehen.
  • Ein Abkommen mit der EU im Bereich Strom forcieren, damit gezielte Importe, aber auch internationaler Stromhandel möglich bleiben.
  • CO2 Monitoring: Festhalten an den PV-Ausbauzielen gemäss Szenario Grossen [3] (basiert auf 60 Jahren KKW Betriebslaufzeit). Monitoring um passende Indikatoren zur Entwicklung von Winterstrom/Schwankungsreduktionen ausbauen.

[1] Mantelerlass 2023: Der sogenannte Mantelerlass beinhaltet Änderungen im Energiegesetz und im Stromversorgungsgesetz. Siehe z.B.
https://aeesuisse.ch/wp-content/uploads/2022/05/20220506_Postitionen_Mantelerlass_aeesuisse_DE.pdf
https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home/energie/stromversorgungssicherheit.html#-770537113

[2] Eigene Grafik und Berechnungen, basierend auf Daten aus dem Jahre 2021
Datenquelle: https://www.energy-charts.info/index.html?l=de&c=CH, → Energie → Balkendiagramm zur Stromerzeugung 2021. Als Datenquelle ENTSO-E-Daten auswählen.
2021: Last: 63’500 GWh, PV Jahr 2700 GWh, Wind 100 GWh
Dezember 21: Last: 6338 GWh, PV 27.4 GWh, Wind 18.2 GWh
Mittlere Monatliche Werte: Last: 5’291 GWh, PV 225 GWh, Wind 12 GWh
Residuallast = Last – Wind – PV
Untersucht wurde die Auswirkungen der PV Schwankungen (Dez/Mittelwert) auf die Residuallast, abhängig vom PV-Anteil der Gesamtlast.
Wind und Last wurden dabei stabil gehalten, nur der PV Anteil geändert.
Als Mass dient die prozentuale Abweichung der Residuallast im Dezember gegenüber dem monatlichen Mittelwert der Residuallast.

[3] Szenario Grossen: https://powerswitcher.axpo.com/
2030: 18 % / 2040: 36 % / 2050: 49%

3 Kommentare zu „Winterstrom

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    1. Ich denke es wird (hoffentlich) noch viele Innovationen im Bereich Speicher geben – die Liste ist also keineswegs abschliessend – hätte ich wohl erwähnen sollen 😞
      Hubspeicher sind vom Prinzip her sehr einleuchtend, aus meiner Sicht momentan noch eher “experimentell”. Insb. auf das mechanische Langzeitverhalten bin ich gespannt.
      PS: Ich persönlich betrachte hydraulische Systeme zum Heben der Last als am erfolgsversprechensten…mal sehen.

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